Kennen Sie das?

Ausschnitt Teil 1, Kapitel 4

"Ich werde sie lieben!“

„Evi, ich liebe sie jetzt schon!“, lächelt mir Linda mit verschwörerischem Augenaufschlag zu. Wir haben soeben jede ein Paar roter Schnürpumps erstanden, gehalten in Budapester Art, mit angenehmer Absatzhöhe. Beim Stöbern durch weitere Läden erspäht meine schmuckverliebte Linda einen hübschen Ring. Für mich kommt eine Jeans hinzu.

Wie gut, dass wir erst shoppen waren, denke ich. Ich liebe Levi’s und es ist eine Traumhose, die perfekt sitzt. Der Weg zu ihr führte über eine Umkleidekabine.

Schon der Gedanke an das grell beleuchtete, enge, oft übelriechende Kabuff mit den riesigen, unfreundlichen Spiegeln vor der Nase muss eine jede Frau von sämtlichen Bekleidungsproben abschrecken. Fast sehne ich mich nach der trüben, blaugeschwängerten Luft unserer Theaterklause als geruchsfreie Variante, die jedes Antlitz verschwimmen lässt. Ist es nicht überhaupt ein Wunder, dass nicht täglich notärztliche Einsatzteams aus diversen Kabinen unterschiedlicher Städte Frauen retten, weil die einen beim Blick in den Spiegel in dieser verachtenden Umgebung einen Schreckanfall erleiden, andere erblinden und die harten Fälle sich erschießen? Darf man ohne psychologischen Beistand diesen nachhaltig wirkenden Ort betreten? Aber wenn man sich selber schon nicht erträgt, wie bitte schön soll ein Fremder das verkraften? Und wie überstehe ich das Prozedere in zwanzig oder mehr Jahren? Mache ich dann nur noch von meinem Rückgaberecht Gebrauch und ignoriere konsequent diese feindliche Umgebung? Der Gedanke an den Sommer und den damit verbundenen Bikinikauf legt jetzt bereits einen Schatten auf mein Gemüt.

Vor der Skulptur der Bremer Stadtmusikanten stehend beschließen wir, uns ein gutes Essen zu gönnen, denn schließlich macht Shoppen hungrig und hilft gegen niederschmetternde Überlegungen.