AUSSCHNITT-1. Teil, Kap. 9

So, junge Frau, was hältst du vom Schwimmen?“ Junge Frau, schöne Frau und im schlimmsten Fall junge Mutti, das ist Adamos Art, mich zu necken, mir Kosenamen zu geben. Schmusenamen oder Verniedlichungen sind nicht sein Naturell. Ein Mausilein oder Hasi, Süße, gar Pupsi – unvorstellbar, zum Glück. Ich revanchiere mich gern mit der steifen Aufzählung seiner Titel.

„Übrigens kann ich nichts finden, was es an deinem schwarzen Bikini auszusetzen gäbe! Ihr zwei passt gut zusammen.“

Auf dem Rückweg halten wir an einer roten Ampel und im Autoradio läuft ein junger Song von Peter Maffay, „Tiefer“. Zuhörendes Schweigen. Zärtlich streicht unerwartet seine Hand durch mein Haar. Ein bedeutungsvoller Blick trifft und verwundet mich, schießt quer durch meine blutenden Eingeweide, rammt mein übergeschnapptes Herz und lähmt spastisch meine Atmung. „Nie war ich tiefer, nie tiefer, tiefer bei dir, spür mich und halt mich und lass mich nicht los …“ Lässt die baldige Trennung sogar diesen Mann melancholisch werden?

Wir verbannen auch die Schwermut aus unserem Zimmer, soll sie die Keuschheit unterhalten, und verschließen rasch die Tür, wollen unsere Intimität bis zuletzt genießen. Leider hat sie uns bereits infiziert. Die Anzeichen sind unverkennbar.

Für den Abend hat Adamo uns einen Tisch bei dem, wie uns versichert wird, besten Italiener der Stadt bestellen lassen. Ein netter Innenhof, Kerzen und gedämpfte Geigenmusik, live gespielt, empfangen uns. Kein Platz bleibt leer in dieser warmen Nacht. Essen und Wein sind hervorragend. Wir gehen noch einmal unsere Tage durch, lassen sie genüsslich Revue passieren, zelebrieren sie, lachen über kleine Pannen. Seine Hose ziert noch immer ein leuchtender Fleck. Alles Reiben und Rubbeln war vergebens. Es gelang uns, unsere Kleckerstatistik in den Tagen durch bemerkenswerte Exemplare zu erweitern.

Die Umgebung bildet den perfekten Rahmen, verbreitet mit ihrer Romantik gute Laune.

„Wie es wohl wäre, hier an der Uni zu arbeiten? Welches Haus würden wir bewohnen?“

Ein kurzes Kribbeln durchzuckt mich. Spüre ich ein Hoffen?

„Danke, es waren sehr schöne Tage, und übrigens, die Nächte waren auch nicht ohne!“ Er legt ein Schmunzeln um die Mundwinkel.

„Ich danke dir! Ich weiß nicht, wann ich zuletzt eine so vollendete Zeit genießen durfte, und ich denke, sie gehört zu meinen schönsten! Danke auch für deine Einladungen, schließlich hast du bezahlt!“

Er winkt ab.

Heute möchte ich eine Zigarette rauchen. Mit einem Mal. Ich gönne mir gelegentlich einen von meinen langen, schmalen, gefilterten Stängeln. Es stört ihn nicht und er besorgt mir Feuer. Adamo hörte vor Jahren mit dem Rauchen auf, weil es zu viele pro Tag wurden. Irgendwann werde ich ihm nacheifern.

Nicht einmal mit dieser Geste überliste ich die kompromisslose, unnachgiebige, tyrannische Zeit!

Als wir zum Auto gehen, schmiegt er sich eng an mich, legt fest seinen Arm um meine Schultern.

Der letzte Abend, hämmert es lauter werdend in meinem Kopf! Beginnende Lähmung hemmt mich.

Heute Nacht ist unser Zimmer besonders heiß und stickig. Wir öffnen die Fenster. Aber statt kühlender Luft erreicht uns der Lärm nächtlicher Mähdrescher.

Die Schwermut hat sich zu uns ins Bett begeben. Sie will unser Tun bestimmen. Tapfer wehren wir uns. Beim Versuch zu schlafen packt sie mich so grob und heftig, dass ich fürchte, mich zu übergeben. Grausige Übelkeit blockiert mich komplett. Ich möchte meine Not verbergen, will ihm nicht zeigen, dass ich leide. Er soll nichts bereuen, keine Vorwürfe erheben. Zum ersten Mal bin ich unfähig, auf seine neuerlichen Zärtlichkeiten einzugehen. Ich hasse mich dafür und kann es nicht ändern! Das macht es für mich noch schlimmer. Er bemüht sich, will mir helfen. Fenster auf, wieder zu. Reicht mir Wasser, streichelt mich.

Ich spüre meine wachsende Angst vor all dem, was kommt, vor der Zeit, die mich zwingt loszulassen, und vor den Herausforderungen meines Alltags, einer mir noch unbekannten Epoche. Mein Herz ist so schwer, wie in Beton gegossen. Durch meine Adern fließt Blei. An meinen Beinen hängen stählerne Gewichte. Mein Gehirn unterliegt dem Druck der dunklen Tiefen eines Ozeans. Ich gleiche einem Automaten unter der Rubrik „Außer Betrieb“. Überdimensioniert brutal die Auswahl des Wann! Jede kostbare millionstel Sekunde nutzlos geopfert und vergeudet, unwiederbringbare Zeit sinnlos verstrichen. Die härtesten Strafen werde ich meinem Ich auferlegen, meinem Ich, das mich so bitter enttäuscht!

Erst der Morgen bringt etwas Erlösung. Wir lieben uns Abschied nehmend und Tränen fließen leise und unkontrolliert über mein Gesicht.

Wir lassen uns Zeit und schieben die Trennung hinaus, tun so, als könnten wir sie dadurch verhindern, steuern noch einmal das Stadtschloss an und machen einen Schlenker zum Lessinghaus, in dem Lessing wohlgemerkt „Nathan der Weise“ schrieb.

„Und hier, in der Ritterakademie, schöne Frau, gab es berühmte Schüler. Und welcher Name fällt Ihnen spontan ein?“, versucht es Adamo scherzhaft. Leider keiner. Mein fragender Blick lässt ihn fortfahren. „Baron Münchhausen!“

Tapfer lächle ich.

Mein Lachen, ich habe es verloren!

Er wird mit seiner Familie in Italien urlauben. Es wird unsere erste längere Trennung. Ich habe kein Recht, eifersüchtig zu sein, und bin es dennoch, möchte ihn nicht mehr hergeben! Nie mehr!

Auf unserer Rückfahrt sprechen wir über die unterschiedlichen Ferienplanungen. Adamo gibt sich redlich Mühe, mich aufzuheitern. Äußerlich gewinne ich stückweise meine Contenance zurück, innerlich ergießen Vulkane ihre heiße Lava in meinen Körper, zerrütten ihn mächtige Beben. Ein letztes Lebewohl, innige Umarmung und tiefer Blick.

„Mach’s gut! Bis dann! Und danke, es war schön!“

Wie gut, dass es meine Kinder gibt. Sie sind meine Erdung und mein Glück. Auch auf meine Eltern freue ich mich. Hoffentlich überlebe ich wehmütige Heulsuse die Strecke, bis ich sie in die Arme schließen kann!

Sie empfangen mich mit gewohnter Herzlichkeit. Die Kinder erzählen fröhlich und gelöst, integrieren mich sofort in ihre Welt. Es tut so unendlich gut. Meine Eltern kennen ihre Tochter. Ihnen kann ich nichts vorspielen. Also gestehe ich meine Zerrissenheit und gebe ein wenig preis. Sie wünschen mir in beschützender Aufrichtigkeit einen guten Ausgang und möchten mein Leiden baldigst beendet sehen. Vielleicht hängen sie einem geheimen Hoffen nach, in dem Fred eine wundersame Wende vollbringt, können nur ahnen, wie entschieden fertig ich mit diesem Mann bin.

 

Zu Hause packen und waschen wir. Die Kinder verabredeten sich mit Clemens. Linda und ich treffen uns auf einen Prosecco in einem Gartenlokal. Sie will alles erfahren. Von Erlebnis zu Erlebnis bessert sich mein Zustand, kann ich die glückliche Zeit heraufbeschwören, erneut durchleben, weiß, dass sie unbestritten ein Bestandteil meines Ichs, meines Lebens sein wird. Niemand vermag mir diesen Segen und diese Wonnen zu nehmen! Sogar mein Lachen kehrt zurück.

„Linda, soeben verstehe ich ein Geheimnis des Lebens. Diese Güte des Schicksals ist für immer eingespeichert, tief in mir verwurzelt. Keiner kann es mir entreißen. Wenn meine Seele geht, dann mit diesem Wissen!“

„Danke, das hilft auch mir! Genau so werden wir es sehen und nicht vergessen!“ Darauf stoßen wir mit feuchten Augen an.

 

Fred ließ sich endlich einen Spezialisten empfehlen. Er bittet mich um Begleitung. Ich fahre ihn und werde ins Anamnesegespräch einbezogen, muss detailliert Auskunft geben. In Freds Anwesenheit beantworte ich die Fragen, spreche über seine Trinkgewohnheiten und Verhaltensmuster, darüber, wie ich es wahrnehme.

Der Arzt bittet mich, meinen Entschluss zu überlegen, eine Trennung zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu praktizieren, stattdessen die Therapie zu begleiten und zu unterstützen.